15.11.2022 - David Stahmann - 6 Kommentare
Bei der Frage, welchen ETF wir Anlegern mit ausreichend langem Horizont (idealerweise ab 10 Jahren Haltedauer aufwärts) sowie entsprechender Risikobereitschaft empfehlen würden, geben wir seit Jahren immer wieder die gleiche Antwort: Möglichst simpel und aufwandsarm halten sowie weltweit streuen. Daher entweder die klassische Kombination aus MSCI World und MSCI Emerging Market oder alternativ einen ETF auf den All-World-Index, der beide Ländergruppen vereint. Daran hat sich aus unserer Sicht auch weiterhin nichts geändert.
Was sich derzeit aber ändert, ist die steigende Wahrnehmung und Unsicherheit vieler Anleger über China als Bestandteil in ihrem (ETF-)Depot. Seit mittlerweile rund zwei Jahren fährt der chinesische Staatsapparat innen- als auch außenpolitisch einen zunehmend restriktiveren und aggressiveren Kurs, der auch binnenwirtschaftlich und bei Aktienkursen chinesischer Unternehmen deutliche negative Folgen zeigt. Zudem besteht die Sorge, ob China den in der Vergangenheit schrittweise für ausländische Investoren geöffneten Zugang zu seinem Aktienmarkt zukünftig wieder nach und nach einschränken könnte.
Auf dieser Basis erreicht uns seit mehreren Wochen und Monaten vielfach die Frage vieler unserer Leser und Leserinnen, was denn bei ETFs mit China-Anteil passiere, wenn das Land sich weiter so verschlechtere oder sogar ganz rausgenommen wird. Ist quasi mit einem baldigen ETF-Crash und schlagartigen Riesenverlusten zu entsprechen? Was passiert in so einem ETF also? Das wollen wir kurz am Beispiel der zwei grundsätzlich denkbaren Szenarien zumindest grob erläutern.
Szenario 1: „Schleichender Niedergang“
In diesem Szenario fallen die Kurse chinesischer Aktien und damit die börsliche Marktkapitalisierung Chinas über die Jahre einfach immer weiter ab. Dies ist ein Standardprozess für den Index-Ersteller und wurde z. B. schon im Falle von Russland in den letzten 15 Jahren durchexerziert: Aufgrund kontinuierlich schwacher wirtschaftlicher Entwicklung sank der Russland-Anteil im MSCI Emerging Market von rund 10 Prozent in 2008/09 stetig auf knapp 4 Prozent, um im Rahmen des Überfalls auf die Ukraine dann auf nahezu Null gekappt zu werden. Da Russlands Anteil in den Vorjahren wie beschrieben ohnehin auf eine kleine einstellige Prozentzahl fiel, sorgte die vollständige Entfernung Russlands aus dem Index schließlich kaum noch für Ausschläge. Im Gegenzug erhielten andere Länder anteilig ihrer jeweiligen Wirtschaftskraft bzw. -entwicklung die vorherigen Gewichtungsanteile von Russland, bis man wieder auf rund 100 Prozent kommt.
Ähnlich würde es in diesem Szenario ablaufen bzw. tut es bereits: Besaß China (ohne Taiwan) bis 2020/21 noch zwischen 40-50 Prozent Anteil im Emerging Market ETF, ist dieser bis heute auf unter 30 Prozent gesunken. Dafür sind u. a. die Anteile von Indien und Südkorea seitdem deutlich gestiegen. So würde es hier entsprechend langsam, aber sicher weitergehen, sodass Ihre künftigen ETF-Sparplanraten automatisch ohne eigenes Zutun mehr und mehr anstelle in China in andere Länder fließen würde.
Szenario 2: „Knall auf Fall“
Das hier wäre das sehr extreme Szenario aka „Russland-Szenario“: Durch einen bestimmten Auslöser wie etwa eine kriegerische Handlung entscheiden sich Indexanbieter mehr oder weniger „freiwillig“, China kurzfristig zumindest für eine Weile komplett aus einem ETF rauszunehmen. Abgesehen vom allgemeinen Schock, den eine solche Nachricht ohnehin weltweit auslösen würde, würden aber auch Indexanbieter schon aus Sorgfaltspflicht den Kunden und Anlegern gegenüber versuchen, eine solche Transformation irgendwie noch einigermaßen geordnet hinzukriegen. Im Prinzip erfolgt aber auch hier der gleiche Mechanismus wie im ersten Szenario: Die Anteile an chinesischen Unternehmen würden abgestoßen und dafür die Anteile der restlichen Länder im ETF angepasst werden. Nur eben deutlich schneller, ruppiger und wohl schwankungsreicher, sodass es temporär durchaus heftige (Kurs-)Einbrüche im ETF und ggf. Mehraufwand für den einzelnen Anleger geben dürfte. Mittel- bis langfristig wäre es aber nicht total unwahrscheinlich, dass der ETF sich auf dieser neuen Länderbasis dann wieder „das Krönchen richtet“ und sich zunehmend stabilisiert. Sollte zudem der Anteil Chinas bis zum Eintritt dieses Falls ohnehin weiter fallen, verringern sich damit auch automatisch die potenziellen Erschütterungen, die ein solcher "Exitus" Chinas von heute auf morgen im Schwellenländer-ETF auslösen würde.
Übrigens: Während der China-Anteil wie bereits erwähnt im MSCI Emerging Market immer noch rund 28 Prozent beträgt, sind es im All-World-Index sogar weniger als 4 Prozent. Hier würde also selbst das zweite Szenario schon heute zu deutlich geringeren Verschiebungen und damit temporären Verwerfungen führen. Aber welche der beiden oben erwähnten ETF-Strategien man auch persönlich fährt, unsere grundsätzliche Botschaft zur gewissen Beruhigung ist an dieser Stelle: Die Mechanik eines ETF sorgt prinzipiell automatisch dafür, dass eine (perspektivisch) schlechtere Entwicklung Chinas sich automatisch auf die Zusammensetzung des jeweiligen ETFs auswirkt und somit ein gewisses Mindestmaß an (zeitverzögertem) Risikomanagement mitbringt. Darum ist die Idee eines solchen Geldanlagevehikels ja so besonders charmant für Laien wie uns und Sie, die wenig Zeit für aktives Geldmanagement aufwenden wollen…
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Sorry, finde den Artikel schwach. Von Interesse ist natürlich Szenario 2 bzw. Taiwan-Krise. Dann verliert der ca. 30% Anteil im EM-Etf massiv an Wert - dem könnten Anleger durch baldigen Verkauf des Etf zuvorkommen und könnten dann das Geld in einen EM ohne China-Etf anlegen. Das wäre dann aktives Anlegen und nicht Abwarten bis es kracht und dann weiter Abwarten bis die Verluste wieder drin sind. AUF DIESE ENTSCHEIDENDE ÜBERLEGUNG GEHT DER ARTIKEL NICHT EIN.
Hallo Nutzer "tilll",
lieben Dank für das Feedback. Wenn "mögliche Ausweichstrategien und Handlungen bzgl. ETFs mit China-Anteil" das Thema des Artikels gewesen wären, hättest du vollkommen recht mit deiner Kritik. Das ist allerdings gar nicht das Thema und wurde auch explizit im dritten Absatz aufgeführt - die Leserfrage und damit unsere hiesige grobe Antwort ging allein darum, was innerhalb eines "betroffenen" ETFs eigentlich passiert bzw. passieren könnte. Nicht mehr und nicht weniger. Sich daraus möglicherweise ergebende Umgangsmöglichkeiten (dein angesprochener ETF-Wechsel; Einstellung Sparpläne; einfach nix tun usw.) war ganz bewusst nicht Gegenstand dieses Artikels und wollen wir ganz bewusst den Lesern überlassen. Denn nur diese wissen, was das Beste für sie selbst in ihrer jeweils ganz persönlichen Situation ist.
Du darfst gern höflich den Wunsch äußern, dass wir dazu mal in allgemeiner Sache schreiben, wenn dir das so wichtig ist. Wo ich dir aber ggf. zustimmen würde: Ggf. impliziert der Titel des Beitrags doch ungewollt zu sehr, hier ginge es um tatsächliche mögliche Handlungsmöglichkeiten. Ist das vielleicht tatsächlich das Problem?
Herzliche Grüße, David
In diesem Fall wäre es mit Korea, Taiwan, Hongkong, Singapur und den Developed Countrys auch nicht gut auszuhalten. Für dieses Szenario ist es fast egal, ob man Emerging Markets ex oder mit China hat.. Es ist einfach ein Risiko für die Weltwirtschaft
Vielen Dank für diesen sehr guten/informativen Beitrag!
“......für Laien wie uns und Sie, die wenig Zeit für aktives Geldmanagement aufwenden wollen…“
Recht so! Was ist/wird mit China? Das ist die Frage, mit der sich der Anleger zwangsläufig jetzt beschäftigen sollte und die er früher oder später beantworten muss, will er nicht plötzlich vor einem Trümmerhaufen stehen und in Panik übereilte Fehlentscheidungen treffen. Ich habe den Artikel als Hinweis verstanden mit der Aufforderung, mal ernsthaft über den "Fall der Fälle" nachzudenken, für den es keine Blaupause gibt, auf die man zurückgreifen kann. Eine ENTSCHEIDENDE ÜBERLEGUNG oder ähnliches kann ich nicht verlangen, es sei denn, von mir selbst. So sind meine Einstellung und Erwartung, wenn ich eine Kolumne vor mir habe. Ob mir der hier vorliegende geistige Erguss entscheidend weiterhilft, sei dahingestellt. Allein dass er verfasst und publiziert wurde, ist entscheidend. Ich habe ihn zweimal gelesen, nicht weil er unverständlich war, sondern mir Denkanstöße zu rechten Zeit gibt.
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