01.04.2022 - David Stahmann - 29 Kommentare
Ich habe zugegebenermaßen recht lange darüber nachdenken müssen, ob ich diesen Monat meine zweite Kolumne zum Thema Geldanlage schreibe oder nicht. Angesichts des schrecklichen kriegerischen Überfalls Russlands auf die Ukraine rücken Geldanlage-Themen etwa zum besten aktuellen Tagesgeld, dem neuestem „spannenden Themen-ETF“ oder diversen „Gold, Bitcoin oder Sonnenblumen-Öl als Sachwert-Investition?“-Diskussionen für mich ziemlich in den Hintergrund.
Stattdessen wurde ich wieder einmal schnell daran erinnert, wie sehr wir in unserem Leben nicht nur von einer idealerweise guten finanziellen Rendite profitieren (wollen). Zum Teil völlig unbewusst streichen wir auch gerne die soziale Rendite ein, an der wir als Mitglieder der Gesellschaft in Deutschland so gut wie alle partizipieren. Denn trotz aller Probleme, Missstände und Herausforderungen, die es auch in Deutschland unbestreitbar in nicht gerade kleiner Anzahl gibt: Uns geht es global betrachtet und mit aktuellem Blick Richtung Osteuropa immer noch ziemlich gut. Und das fast ununterbrochen seit einigen Dekaden trotz Geschichten wie dem kalten Krieg, diversen ökonomischen Krisen oder der nicht gerade ruckelfreien Wiedervereinigung Deutschlands.
Wir profitieren grundsätzlich z. B. von:
All diese Dinge führten dazu, dass wir lange Zeit nicht nur die vielfach erwähnte „Friedensdividende“ einstreichen konnten, sondern auch die besagte soziale Rendite. Verhältnismäßig wenige Menschen müssen sich kontinuierlich damit beschäftigen, wie sie ein Dach über den Kopf bekommen oder wo sie das nächste Essen herkriegen. Es gibt zahlreiche, umfassende und niedrigschwellige Gesundheitsdienstleistungen sowie Freizeit- und Kulturangeboten bis hin zu einer Art „Basisausstattung“ von sozialer Absicherung – alles gemeinsam durch Steuern, andere Einnahmen sowie Schulden finanziert und der Allgemeinheit relativ demokratisch zugänglich gemacht.
Dies hat uns Privatanlegern den Kopf überhaupt erst „freigemacht“ und ermöglicht, sich je nach Lust und Laune die Zeit nehmen zu können, sich im Bereich der Geldanlage über das notwendige Mindestmaß hinaus zu betätigen. Das geht hin bis zu den bekannten Extrembeispielen wie unstete Tagesgeld-Hopper oder 127-Crowdinvesting-Projekte-über-15-Plattformen-Hardcore-Diversifizierer mit dem entsprechenden Aufwand an Freizeit und Energie.
Wir können es uns „erlauben“, statt des mühsamen und aufwändigen Hortens von Bargeld in den eigenen vier Wänden, teilweise fünf- bis sechsstellige Geldsummen auf das Bankkonto zu packen und damit zu sichern - mit dem Vertrauen auf die gesetzliche Einlagensicherung und die allgemeine Gerichtsbarkeit hierzulande.
Wir können es uns „erlauben“, neben hochliquiden Anlageformen wie Bargeld, Tagesgeld und Bluchip-Aktien auch in illiquide Anlageformen wie Immobilien (ob Eigenheim oder zur Vermietung), Start-Ups oder Erneuerbare-Energien zu investieren zu können – weil wir nicht permanent damit rechnen müssen, jederzeit mit allem Hab & Gut irgendwohin flüchten und daher das Geld trotz Entwertung durch Inflation jederzeit komplett flüssig halten zu müssen.
Wir können es uns „erlauben“, mit völlig fremden Menschen zusammen als „Crowd“ über eine Internetplattform diverse Wald-, Acker- oder Plantagenflächen zu kaufen zwecks Verzinsung durch Verpachtung, die am anderen Ende Deutschlands liegen – weil wir nicht etwa befürchten müssen, dass andere Menschen aus reiner Not und des Überlebens willens die dort angebauten und für den Verkauf angedachten Lebensmittel teilweise einfach heimlich entwenden (müssen).
Um abschließend Missverständnisse zu vermeiden: Es geht mir NICHT darum, der Geldanlage zur Erzielung hoher finanzieller Renditen grundsätzlich ihre Legitimität und ihren Sinn abzusprechen. Selbst in Zeiten, wie wir sie aktuell erleben und wenn diese Dinge quasi vor unserer Haustür geschehen. Jede Sorge des einzelnen Anlegers über die hohen Inflationsraten, deren Einfluss auf die Realrendite und das langfristig verfügbare Vermögen sowie die Frage nach geeigneten Gegenmaßnahmen auf der individuellen Anlageportfolio-Ebene sind ebenso berechtigt wie unsere allgemeine Sorge um das Leben der ukrainischen Menschen.
Was ich tatsächlich sagen will: Sie würden die Performance Ihrer Geldanlage ja wohl auch nicht ausschließlich anhand der Dividendenrendite im Aktienportfolio berechnen oder allein über die Preissteigerung Ihres Einfamilienhauses auf ImmoScout.de ohne Einbezug von angefallenen Kosten und Aufwendungen. Sondern das gesamte Portfolio hinweg bei Betrachtung aller genutzten Anlageklassen – nur daraus ergibt sich die echte, relevante Gesamtrendite.
Genauso sollten Sie vorgehen, wenn Sie sich die aktuelle „Rendite Ihres Lebens“ anschauen: Schauen Sie nicht allein auf die finanzielle Rendite. Versuchen Sie auch von Zeit zu Zeit zu erkennen und zu würdigen, wie stark Sie auch von der sozialen Rendite und ggf. auch ökologischen Rendite profitieren allein dadurch, dass Sie in Deutschland, in Westeuropa, in der EU leben. Gerade in Zeiten wie diesen, wo diese Art von Renditen für andere Menschen von heute auf morgen zum Teil einfach wegfällt…
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Der Artikel ist sehr gut, weil er Anlass bietet darüber nachzudenken, dass es uns hier im sozial behüteten Deutschland im Vergleich zu vielen anderen Ländern richtig gut. geht. Eine Bitte habe ich: Ich suche einen ETF- Schweiz , der die gesamte Bandbreite der Schweizer Industrie, ähnlich dem Dax für Deutschland,dem Euro Stoxx 600 für Europa oder dem S&P 500 für USA abbildet.. Vielen Dank für die Information.
Aktien-ETFs mit dem Themenschwerpunkt "Schweiz" gibt es ein paar, wobei unterschiedliche Indizes nachgebildet werden. Der von Amundi (ISIN LU1681044720) repliziert den MSCI Switzerland synthetisch und ist daher nur bedingt empfehlenswert. Die UBS bietet auf denselben Index zwei vollständig physisch replizierende Varianten (thesaurierend: LU1169830103 / ausschüttend: LU1169830012) an, wobei man aber die Gewichtung des größten Unternehmens auf 35 % und aller anderen auf maximal 20 % begrenzt. Lyxor hat einen ETF mit synthetischer Replikation des Swiss Performance Index (LU0603946798) und einen vollständig physisch replizierenden ETF auf den Dow Jones Switzerland Titans 30 (LU0392496427) im Angebot. Den Swiss Leader Index bilden sowohl die Produkte von iShares (DE0005933964) als auch von Xtrackers (LU0322248146) physisch ab - letzteres aber offenbar nur in Form einer optimierten Auswahl. Xtrackers bietet außerdem noch einen vollständig physisch replizierenden ETF (LU0274221281) auf den Solactive Swiss Large Cap Index an. Im Hinblick auf die TER liegt die Spanne bei den genannten Produkten zwischen 0,20 % (UBS) und 0,51 % (iShares). Ich hoffe, da ist auch für Sie etwas Passendes dabei.
Ich bin aktuell überhaupt nicht dankbar, in diesem Land zu leben. Hier wurden in den letzten Jahren bedenkenlos zahlreiche Existenzen vernichtet (Gastronomie, Kultur u. a.) und man setzt dies mit der Umsetzung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht weiterhin gnadenlos fort (Praxen u. a.). Deutschland hat vermutlich die besten Jahre hinter sich und wer nicht alles auf die Karte "D" setzen möchte ist gut beraten, einen Teil seines Vermögens außerhalb Deutschlands oder noch besser außerhalb der EU anzulegen. Solche Infos würde ich mir in Zeiten von "Krieg und Frieden" wünschen.
@Anyway: "Ich bin aktuell überhaupt nicht dankbar, in diesem Land zu leben. Hier wurden in den letzten Jahren bedenkenlos zahlreiche Existenzen vernichtet (Gastronomie, Kultur u. a.) und man setzt dies mit der Umsetzung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht weiterhin gnadenlos fort (Praxen u. a.)."Wie man angesichts des aktuellen Krieges in Europa dermaßen arrogant und undankbar sein kann, entzieht sich jedem Verständnis meinerseits. Ja, diese furchtbare Unfreiheit, sich impfen lassen zu müssen damit man seinen Beruf in gesundheitskritischen Bereichen ausüben darf, dieser unsägliche Gedanke, auch auf andere Rücksicht nehmen zu müssen. ja, furchtbar das! Vielleicht mal nachdenken, wie es den Menschen geht, die nicht nur ein halbes Jahr in Kurzarbeit gehen mußten, sondern ihr ganzes Hab und Gut, und auch Angehörige verloren haben?!?
Worte der Behaglichkeit - in selten unbehaglicher Zeit, des Inhalts, wie man ihn durchaus schon gehört hat, was es allerdings nicht unwahr macht, doch durchsät von zahlreichen Fehlern und Fehlerchen der Grammatik; die korrekte Flexion des deutschen Adjektivs sollte unbedingt geübt werden, insbesondere in seinem Dativ.
Sehr gut, vor allem der Hinweis auf die gesamte Lebensrendite
Statt einer weiteren "Sonntagsrede" hätte ich mir an dieser Stelle - der Überschrift entsprechend - lieber hilfreiche Informationen zu einer sicheren Geldanlage in unsicheren Zeiten gewünscht. Während ich früher meine (Groß-)Eltern noch belächelt habe, weil sie an ihren (bürokratisch höchst aufwendigen) Auslandskonten festhielten oder sich Gold- und Silberbarren in den heimischen Tresor legten, um für den Fall gewappnet zu sein, dass irgendwann doch mal "der Russe kommt", erscheint mir dieses Szenario mittlerweile nicht mehr ganz so unrealistisch. Zwar halte ich nach wie vor nichts vom Edelmetallhorten, weil einem das auch nicht hilft, wenn einem jemand ein Gewehr vor die Nase hält (vom unpraktischen "Handling" beim täglichen Einkauf ganz zu schweigen), doch kann ich der Idee, zumindest einen Teil des Vermögens außerhalb der eigenen Landesgrenzen für den Krisenfall zu deponieren, zunehmend etwas abgewinnen. Inwieweit da Festgeldanlagen bei ausländischen Banken (evtl. sogar außerhalb des Euro-Raums) hilfreich wären oder ob man mit einem international investierenden Aktien-ETF nicht doch besser aufgestellt wäre, hätten somit Themen dieser monatlichen Kolumne seien können. Leider wurde diese Gelegenheit zugunsten von Allgemeinplätzen zum "Sinn des Lebens" vertan. Schade.
Danke für diesen Beitrag. Er rückt einiges zurecht und weitet den Blick auf unsere Rahmenbedingungen, die im 'Tagesgeschäft' eines(r) jeden leicht übersehen werden.
Sehr passender Artikel zu der jetzige Zeit. Es ist echt traurig was momentan in der Ukraine passiert. Auf jeden Fall darf niemand unterschätzen was Stabilität fürs Leben bedeutet!
Ich finde das einen super Artikel. Was nützt uns alles Anhäufen von Materiellen
wenn uns dadurch der Blick von wichtigem, menschlichen Beziehungen oder wie gut es uns vergleichsweise geht, abgelenkt wird.
Jetzt ist die Zeit etwas abzugeben, mal das Werteranking zu hinterfragen.
Werte - kann Inflation auffressen, Immobilie kann auch wieder schnell weg sein.
Wichtig ist natürlich zu planen, aber sich immer der wirklichen Wichtigkeiten klar zu werden.
Danke für die vielen positiven Aspekte, die leider oft nicht berücksichtigt werden.
Erfreut und erstaunt bin ich, sehr geehrter Schreiber, über diese besondere Art des Weitblicks/Blickwinkels - und dies in einer "Finanzecke".
Werde mir das ausdrucken und gerne nochmals lesen.
DANKE!
Der Artikel hat mir sehr gut gefallen - mir als 84jährigem Optimisten mit Erfahrung.Ich mache mir dies und anderes jeden Tag klar . Ich werde den Artikel deshalb an unsere Kinder und Enkel weiterleiten. Mal sehen, welches feed back ich bekomme ?!M. Schultze-Moderow
Die jetzige Situation sehr zutreffend beschrieben. Leben(Überleben) kommt vor Rendite.
Sie haben ja so Recht. Wir wissen teilweise gar nicht zu schätzen, wie gut und sicher wir hier leben können. Und dass unserer Währung bisher stabil blieb! Ich hoffe auch, dass unser soziales Engagement und unserer Willkommenskultur gegenüber den Flüchtigen langfristig auf diesem Niveau bleibt!
Der Artikel entspricht ganz meiner eigenen Einstellung. Wir dürfen nicht immer wieder vergessen, dass es uns im Großen und Ganzen hier so gut geht...
Soweit richtig, aber leider sind unsere politischen und medialen Eliten gerade dabei, diese Grundlagen aus Dummheit und fehlender Weitsicht mutwillig zu zerstören. Den Preis für diese Hybris zahlen letztlich die Kleinsparer.
Einfach mal dankbar sein für das Riesenglück in diesem Land zu dieser Zeit geboren zu sein ...
Ich unterstütze und bedanke mich ausdrücklich für diesen sehr differenzierten Beitrag!Wir alle sind zu Demut aufgefordert angesichts unserer sozialen Rendite.Und die ist nicht mal unser Verdienst:einfach Schwein gehabt, hier geboren worden zu sein.
..das ist wohl wahr, hilft aber nicht weiter, wenn man im 80. Lebensjahr ist und sein nicht benötigtes Geld für die Pflege angelegt hatwas sich vielleicht demnächst in "Luft" auflöst oder zumindest abgewertet wird.
mir fällt bei den hoch qualifizierten Aussagen der Herrn Erlich, nichts mehr ein. Ich muss alles erst aufarbeiten, was man inzwischen verlernt hat. Wir brauchen mehr Zeit das alles erst zu verarbeiten. Glauben tue ich es schon, aber glauben ??? besser ist es zu denken und das werde ich....
Wow - wahre Worte in schwierigen Zeiten. Gut, David Stahmann, dass Sie sie (doch) niedergeschrieben haben. Vielen Dank dafür!
Im Leben ist Geld und Rendite nicht alles Familie Freundschaft soziale Kompetenzund der Genuss des Augenblickes bereichern in dieser Zeit umso mehr.
Ich finde es gut, dass Sie auch mal diese Vorteile des Lebens in einer Demokratie herausstellen. Natürlich gibt es auch Mißstände bei uns, aber im Vergleich mit der vom Krieg zerstörten Ukraine, insbesondere mit den vielen unnötigen Toten jammern wir weiter auf hohem Niveau.
Danke für diesen wertvollen Beitrag. Auch ich hatte mit Finanztipps in schwierigen Zeiten gerechnet und mit jeder Zeile wurde ich gerührter. (die Tippsfolgen bestimmt irgendwann....leider und zwangsläufig)
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