01.12.2021 - Stefan Erlich - 11 Kommentare
Wenn ich mit Anlegern über das Thema Geldanlage spreche, spüre ich immer wieder eine gewisse Erwartungshaltung. Man müsse nur, so die Vorstellung, ganz viele Daten sammeln, diese mit ganz komplizierten Modellen analysieren und dann die richtigen (schlauen) Leute nach ihren Schlüssen fragen (gern Akademiker mit Nobelpreis), um am Ende die eine richtige Geldanlage, Investmentstrategie oder am besten gleich die eine zukünftige Boom-Aktie zu finden. Es ist so eine diffuse Erwartung, man könne der Unberechenbarkeit der Finanzmärkte und der damit verbundenen Unsicherheit bei der Geldanlage mit wissenschaftlichen Methoden Herr werden, sie bezwingen und soweit eliminieren, dass eine gute Rendite am Ende nur noch eine Frage des richtigen Experten ist. Die Realität allerdings sieht so aus: Zu 90 % ist Geldanlage eine Frage von Meinung, manche würden sogar sagen eine Frage vom “Ego des Experten”.
Ein befreundeter Honorarberater drückte es vor einigen Jahren einmal so aus: “Es gibt nur zwei Dinge, die Anleger wirklich beeinflussen können: Die Kosten ihrer Geldanlage und die Art und das Maß der Diversifikation.” Alles andere (vor allem historische Daten) lässt sich zwar aufwändig analysieren, aber bringt einen nicht weiter, weil die Aussagekraft für die Zukunft nicht gesichert ist. Leider entspricht das aber nicht den Erwartungen der meisten Anleger, weshalb viele auf der unendlichen Suche nach dem einen Guru sind, der sie in den Himmel der Traumrenditen hievt, selbstverständlich gegen großzügige Entlohnung in Form von Abogebühren, Fondsgebühren, Wealth Management Fees usw. Nicht ohne Grund sind Dauer-Crash-Propheten wie Dirk Müller und Co. beliebte Gäste in Talkshows, Podcasts und Zeitungsinterviews. Und zu meiner eigenen Schande muss auch ich gestehen, dass ich lange Jahre Abonnent von Dirk Müllers Premium-Abo “Cashkurs” war, natürlich ohne greifbaren Benefit für mein Portfolio.
Doch was machen wir Anleger mit dieser Überlegung? Kopf in den Sand und alles verteufeln? Sicher nicht! Schritt 1 sollte sein, zu akzeptieren, dass Geldanlage keine exakte Wissenschaft ist. Man kann bei der Analyse zwar wissenschaftiche Methoden anwenden, aber das Resultat dieser Analyse erlaubt keine Rückschlüsse auf die Zukunft und die ist ja ganz entscheidend für meine und Ihre Geldanlage. Das Investieren von Geld ist letztlich eine Frage von Meinung und Perspektive: jeder hat sie und darf sie kundtun, aber nur wenige werden am Ende recht behalten. Hat man das einmal verinnerlicht, ändert sich plötzlich die Perspektive auf die ganzen Crash-Propheten, Berufskolumnisten und “Geldanlage-Wissenschaftler”. Es lohnt sich eigentlich immer, ihnen zuzuhören, allerdings ist das, was sie äußern, nur ihre Meinung, also ein möglicher Pfad für die Zukunft und nicht DIE EINE Zukunft. Natürlich werden diese Menschen einen Teufel tun und ihre eigenen Aussagen als nur eine Möglichkeit von vielen darstellen. Für Sie als Anleger sollte das beim Zuhören aber umso klarer sein.
Wir von der Redaktion haben uns daher überlegt, Meinungen und Perspektiven zum Thema Geldanlage verstärkt zu fördern, denn zum einen fehlt uns in vielen Bereichen sowohl die Expertise als auch die Zeit für guten redaktionellen Content und zum anderen ist es aus unserer Sicht wichtig, auch von unserer eigenen abweichende Meinungen zu hören und zu verarbeiten. Dazu haben wir einige von uns gelesene, geschaute und gehörte Blogs, YouTube-Kanäle und Podcasts zusammengestellt und in einer Art Feed gebündelt. Das Ganze nennen wir FinFeed und findet sich unter folgender URL: https://www.kritische-anleger.de/finfeed/. “Nichts Neues!” rufen da sicher einige aus dem Publikum, aber es war und ist auch nicht unser Anspruch, hier etwas radikal Neues zu schaffen. Vielmehr möchten wir Ihnen im Rahmen von Kritische-Anleger.de eine einfache Möglichkeit geben, auch andere AutorInnen zu verfolgen und das, sofern gewünscht, auch gern auf Basis unserer eigenen Favoriten (siehe FinFeed).
Zum Schluss nun noch ein paar Fragen an Sie:
Haben Sie Fragen zu diesem Artikel? Was finden Sie besonders gut, was vielleicht eher schlecht? Was sollten wir besser machen? Schreiben Sie uns an dieser Stelle gern Ihre Meinung. Wir freuen uns stets über Ihr Feedback.
Ich höre bei den "Gurus" heraus , wovon ich meine , für die Zukunft gut zu wissen.Die Gurus leben von den Gebühren für die Börsenbriefe, deshalb alles ganz schnell abbestellen.Werner B.
Ein Blog bzw. Newsletter, der m.E. Ihre Beachtung verdient, ist der von Finanz-Szene.de. Ja, über Ton und Stil dieser Seite lässt sich streiten, auch mir ist sie teilweise etwas zu flapsig und boulevardesk, aber man muss den Verantwortlichen zugutehalten, dass sie eine der wenige in Deutschland waren, die frühzeitig über das sich abzeichnende Greensill Bank-Debakel berichtet haben, während Handelsblatt, Spiegel, FAZ & Co. die Thematik noch komplett ignorierten und erst nach dem großen Knall so taten, als hätten sie alles schon immer gewusst. Gerade für Ihr Portal, dass sich ja intensiv mit Finanzinstituten und deren Angeboten befasst, erscheint mir daher ein regelmäßig Blick auf die genannte Seite sinnvoll, um vielleicht bei der nächsten Bankenpleite - die sicher kommen wird - ebenfalls zu den frühzeitig Warnenden zu gehören.
Sollten wir eine Art wöchentliche Newsletter-Funktion für die wichtigsten FinFeed-Beiträge anbieten?...darüber würde ich mich sehr freuen!!! Ich bin kein Freund von den Blogs, Kanälen,Facebook und Co.Ich danke für den Artikel.. schon länger beschäftigte ich michmit diesem Thema und hab es immer wieder verworfen... Gurus, Aboabzocke oder real.. wie kann ich den Unterschied erkennen? Nun hab ich für mich die Antwort gefunden *lacht* herzlichen Dank dafür!!
Ich bin 78 Jahre alt und habe vor 13 jahren mit 4% meines Ersparten gerechnet,was mir jeder Finanzexperte bestätigte.Also keine überhöhten Erwartungen.Dann kam Europa.Die Verträge wurden auf den Kopf gestellt.Die Globalisierung und Herr Draghi haben eine Finananzwelt geschaffen,die die Sparer bestraft,die Immobilienpreise explodieren,die nicht kreditwürdigen Länder werden seit Jahren mit Geld vollgestopft,daß diese nicht daran denken, ihr Wirtschaftssystem zu ändern.Alles bekannt.Die politisch geprägten Medien nehmen das Thema nicht wirklich auf.Spreche ich Bekannte an, kommt ein "wehe wehe, wenn ich an das Ende sehe".
Der Aussage in diesem Artikel ist nur eines hinzuzufügen nämlich, dass es den "richtigen" Zeitpunkt für den Kauf von Wertpapieren nich gibt. Da tummeln sichviele Propheten, die mit Charts und Erfahrungen der Vergangenheit oder dem "Wissen" über Aktien, die garantiert durch die Decke gehen geometrische "Widerstandslinien" und ähnliches errechnen. Der richtige Zeitpunkt für den Einstieg ist der Zeitpunkt, zu dem ich über einen Betrag X verfüge, den ich absehbar für längere Zeit nicht benötige. Danach greift dann das im Artikel gesagte zu Kosten und Diversifikation. Also auch hier: Augen auf bei den "Gurus" des richtigen Zeitpunktes für den Einstieg oder den Kauf des Wertpapiers,das im kommenden Jahr garantiert eine Kursexplosion erleben wird.
Meiner Meinung nach..
Ein guter Beitrag bringt, mich leider aber nicht weiter, soll er aber auch heute nicht.Aber Ihr hattet ja schon viele gute andere Beiträge. Also weiter so.
Absolut positiver Beitrag, ich schaue nur kritischer Anleger
E(h)rliche Gedanken zu Geld 12/2021
Diese Kolumne spricht mir aus der Seele. Man kann Geschichtsbücher nicht im Voraus schreiben. Und Aktienkurse hängen immer mit Geschichte und Geschichten zusammen. Danke dafür.
Peter L.
Mit meinen 71 Jahren musste ich mir bisher nie viel Gedanken um Geldanlagen machen, da ich immer genug verdient habe, um meinen bescheidenen Lebensstil finanzieren zu können. Alles, was ich monatlich übrig hatte, habe ich auf Tages-, manchmal auch auf Festgeldkonten gespart, um auch im Alter einen gewissen Standard halten zu können. Die klar formulierten Tipps auf Ihrer Seite haben mir dabei sehr geholfen. In dieser Corona-Krisenzeit frage ich mich allerdings, ob das angesparte Polster bei den Banken überhaupt noch als sicher gelten kann. Jetzt sehe ich mich nach krisenfesteren Anlagen um, stoße dabei auf die Gurus und bin nur noch verwirrt. Einen FinFeed-Newsletter mit soliden Hinweisen, die auch ein in Finanzdingen wenig geschulter Geist verstehen kann, würde ich deshalb sehr begrüßen.
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