16.12.2013 - Stefan Erlich - 0 Kommentare
Mit der kürzlich erfolgten Senkung des Hauptrefinanzierungssatzes („Leitzins“) der EZB auf 0,25 % und der unterschwelligen Androhung negativer Zinsen ist die Zentralbank der Europäischen Union einen historisch einmaligen Schritt gegangen. Als Begründung lieferte sie den Medien die niedrige Inflation bei anhaltend schwachem Wirtschaftswachstum - beides durchaus nachvollziehbare Punkte. Nicht wenige munkeln allerdings, dass die eigentliche Motivation viel tiefer liegt und mit der desolaten Schuldensituation einiger europäischer Länder zu tun hat.
Unabhängig davon, ob die Argumentation der EZB nun vorgeschoben ist oder nicht, bleibt festzuhalten, dass es mit den Zinsen für klassische Sparanlagen wie Tagesgeld und Festgeld wohl weiter bergab gehen wird. Umso mehr fragen sich Privatanleger, wo sie mit ihrem Geld derzeit noch hin sollen.
Liest man die Artikel der gängigen Zeitungen und ihrer „Anlageexperten“, so lautet die Empfehlung zur Geldanlage meist wie folgt: Investieren Sie breit gestreut in Aktien, Exchange Traded Funds (ETFs), Fonds, Anleihen und eventuell auch Gold/Silber und Immobilien. Einzig den Tipp zur „Geldanlage in Bitcoins“, der noch relativ neuen digitalen Währung, haben wir bisher noch nicht gehört, was aber wohl auch nur eine Frage der Zeit sein dürfte. Was uns an diesen Tipps stört, sind vor allem 4 Punkte:
Unter einer konservativen Geldanlage verstehen wir das Investieren in Anlageformen, die ein geringes Verlust- und Ausfallrisiko aufweisen. Derartige Investments werfen in aller Regel nur geringe Renditen ab, lassen einen aber gleichzeitig auch nachts ruhig schlafen. Für viele Anleger hat nämlich am Ende des Tages nicht die Rendite Priorität, sondern vor allem der Erhalt des hart Ersparten. Wer über Jahrzehnte hinweg ein Vermögen von 100.000 EUR oder 200.000 EUR angespart hat, wird sich nur schwer damit abfinden können, wenn plötzlich 20 % oder 30 % davon fehlen.
Was uns bei den Empfehlungen vieler Anlageexperten immer wieder negativ aufstößt, ist die Tatsache, dass es vor allem spekulative Investments sind, mit denen die Rendite generiert werden soll. Spekulation ist aber nichts anderes als Dinge zu kaufen und zu hoffen, dass diese nach einer gewissen Zeit plötzlich mehr wert sind. Hoffnung allein war allerdings noch nie eine gute Anlagestrategie, da irrational und nicht kalkulierbar. Der Kauf von physischem Gold mit der primären Zielsetzung der Wertsteigerung zum Beispiel ist pure Spekulation. Die hübsche Goldmünze kann in 10 Jahren das Doppelte wert sein, muss sie aber nicht. Niemand weiß es genau. Die Investition in eine Windkraftanlage, einen Traktor, eine Maschine oder auch zum Teil in eine zu vermietende Immobilie ist dagegen in einem gewissen Rahmen durchaus kalkulierbar.
Kritisch sehen wir zudem auch die mangelnde Hinterfragung der Risikofreudigkeit von Anlegern. Wie bereits oben angedeutet, dürfte für den Großteil der Anleger der Verlust von Angespartem mehr schmerzen als die potenziell erwirtschaftete Rendite Freude bereitet. Wer 600.000 EUR auf der hohen Kante liegen hat, ist wahrscheinlich eher bereit, mit einem Betrag von 30.000 EUR oder 50.000 EUR auch einmal ein höheres Risiko einzugehen. Bei geringeren Vermögen von 50.000 EUR, 100.000 EUR oder auch noch 200.000 EUR ist diese Bereitschaft bei nüchterner Betrachtung des Verlustpotenzials zumeist aber gar nicht da. Dies sollte man immer im Hinterkopf behalten.
Als weitere Kritikpunkte an den gängigen Anlageempfehlungen sehen wir die Überschätzung des Wissens der Anleger sowie die für den Normalbürger dadurch nur schwere Umsetzbarkeit von gestreuten/diversifizierten Anlagen. Es ist zwar gut und richtig, zur Risikoreduktion in vier oder fünf verschiedene Anlageklassen zu investieren, jedoch müssen diese vom Anleger auch verstanden und konkrete Anlageprodukte ausgewählt werden. Wem schon die Suche nach einer passenden Festgeldanlage oder einem Depot Kopfschmerzen bereitet, der wird bei der Auswahl von Anleihen, Fonds, Aktien und ETFs wohl vor unlösbaren Aufgaben stehen. Und selbst Fonds, die von vielen „Experten“ als Lösung für den Wissensmangel und der praktischen Beschränkung einer Diversifikation vorgeschlagen werden, sind nicht ohne Probleme. Wer sich einmal die historische Entwicklung vieler vor allem länger am Markt aktiver Fonds anschaut, wird erstaunt sein, wie schlecht diese teilweise trotz scheinbar schlauer Fondsmanager abschneiden. Und welcher Fonds ist überhaupt der richtige?
Dass die Inflation als Resultat der expansiven Geldpolitik der EZB in Zukunft einmal anziehen wird, ist gefühlt zwar einerseits Konsens, andererseits aber keineswegs ausgemachte Sache. So zeigt das Beispiel Japan recht eindrucksvoll, dass das Preisniveau trotz einer extrem lockeren Geldpolitik der Zentralbank relativ stabil bleiben kann. Denn nur, wenn die so günstig zur Verfügung gestellte Liquidität tatsächlich auch durch die Vergabe von Krediten in den realen Wirtschaftskreislauf gelangt, können die Preise auch steigen. Ob wir in den nächsten 10 Jahren tatsächlich eine erhöhte Inflation erleben werden oder ob wir wie Japan in einer Deflation landen, vermögen auch wir nicht vorherzusagen. Unabhängig davon ist uns aber wichtig zu betonen, dass bei jeder Geldanlage die Inflation bzw. Inflationserwartung stets in die Anlageentscheidung mit einfließen sollte. Stellen Sie daher genau gegenüber, was Ihnen eine Anlage nach Abzug der erwarteten Inflation (=Realrendite) im schlechtesten Falle an Kaufkraftverlust und im besten Falle an Kaufkraftgewinn bringen würde.
Schauen wir uns hierfür z. B. die Situation eines eher trägen Anlegers an: Bei einer Inflation von 1,50 % hat Herr Müller sein Vermögen von 100.000 EUR auf seinem mit 1,00 % verzinsten Tagesgeldkonto liegen. Effektiv führt diese Konstellation nach Abzug der Inflation zu einer negativen Realrendite von -0,50 % pro Jahr. Halten wir den Zins und die Inflation konstant, so hat das Geld von Herrn Müller nach 5 Jahren nur noch eine Kaufkraft von 97.525 EUR. Nach 10 Jahren sind es nur noch 95.111 EUR (siehe Tabelle 1). Diese Zahlen sind für Herrn Müller aber so gar nicht sichtbar, da seine Bank ihm als Kontostand mit Zinseszins nach 5 Jahren 102.525 EUR und nach 10 Jahren 105.114 EUR anzeigt (die Kapitalertragsteuer lassen wir hier einmal unberücksichtigt). Dieser Unterschied ist letztlich auch das Heimtückische der Inflation. Sie ist für den Normalbürger praktisch nicht sichtbar, nagt aber kontinuierlich an der Kaufkraft des Sparers.
Doch rechtfertigt der beschriebene Kaufkraftverlust von Herrn Müller ein risikoreicheres Investment? Schauen wir uns dazu an, was Herr Müller zum Beispiel mit der Anlage in einen Aktienfonds hätte erreichen können. Ein optimistisches Szenario wäre, dass der Fonds ihm in den ersten 5 Jahren eine jährliche Rendite von durchaus attraktiven 7 % erwirtschaftet. Auf Basis der (unbegründeten?) Annahme, dass sich in diesem Fonds schlaue Leute mit der Optimierung der Fondsstruktur beschäftigen, nehmen wir für ein pessimistisches Szenario einmal nur ein Verlustpotenzial von -5 % pro Jahr an. Nach der angenommenen Inflation von 1,50 % sind dies letztlich Realrenditen von +5,5 % und -6,5 % pro Jahr. Am Ende des 5. Jahres stünde Herr Müller daher im besten Falle mit einer Kaufkraft von 130.696 EUR sehr gut oder im schlechtesten Falle mit nur 71.459 EUR ziemlich miserabel da. Würde Herr Müller diese Anlage mit dem Wissen des Rendite- und Verlustpotenzials nun aus heutiger Sicht gegenüber seiner langweiligen Tagesgeldanlage bevorzugen? Die Antwort darauf hängt wohl vor allem davon ab, wie heilig ihm seine 100.000 EUR sind und wie gut er den möglichen Kaufkraftverlust von fast 30.000 EUR ertragen könnte. Die potenzielle „Kaufkraftrendite“ von ca. +30.000 EUR klingt auf den ersten Blick verlockend, jedoch muss sie immer dem Verlustpotenzial gegenübergestellt werden.
Es ist leicht, sich von den potenziellen Renditen gewisser Anlageprodukte anlocken zu lassen, doch das „Best-Case-Szenario“ sollte bei einer Anlageentscheidung nie im Vordergrund stehen. Wichtig ist tatsächlich eher das „Worst-Case-Szenario“ im Vergleich zu einer relativ sicheren Alternative (z. B. Tagesgeld oder Festgeld). Wenn der mögliche Verlust (etwa eines Aktienfonds) tatsächlich finanziell und psychisch verkraftbar wäre und die sichere Anlagealternative nach Inflation keine oder sogar negative Renditen abwirft, dann spricht grundsätzlich nichts gegen die risikoreichere Anlage. Würde Ihnen dagegen ein Vermögensverlust von 10 %, 30 % oder sogar 50 % stark zu schaffen machen, dann ist vielleicht die langweilige Tages- oder Festgeldanlage mit leichtem Kaufkraftverlust noch immer die bessere Alternative. Ihre persönliche Präferenz und Ihr Anlagewissen im Zusammenhang mit dem Verlustpotenzial, der möglichen Rendite und der (erwarteten) Inflation entscheiden letztlich darüber, welche Geldanlage für Sie die richtige ist.
Die Inflation zu schlagen ist im Übrigen noch immer möglich, und zwar auf zweierlei Art und Weise. Zum einen lassen sich durch längere Laufzeiten beim Festgeld durchaus noch Renditen erwirtschaften, die deutlich über der aktuellen Inflation liegen (siehe Festgeldvergleich). Je länger die Laufzeit, umso höher der Zinssatz. Insbesondere bei längeren Laufzeiten sollte man sich allerdings fragen, ob eine solch lange Bindung des eigenen Vermögens aus praktischer Sicht sinnvoll ist. Der Großteil der Festgeldanlagen ist faktisch unkündbar, sodass ein spontaner Wohnungskauf oder sonstige unerwartete Ausgaben nur über anderweitig verfügbares Guthaben oder Kredite geschultert werden können. Ein weiteres „Risiko“ besteht zudem in den potenziell ansteigenden Zinsen, von denen man bei längeren Laufzeiten dann natürlich nicht unmittelbar profitieren kann. Gleichzeitig ist man durch die Zinsbindung der Festgeldanlage aber auch gegen potenziell sinkende Zinsen abgesichert.
Eine weitere, eher unkonventionelle Art, die Inflation zu schlagen, ist das Ändern von Konsumgewohnheiten. Inflation an sich ist keine fixe Zahl, die jeden in gleicher Weise trifft. Fahren Sie zum Beispiel mit dem Fahrrad zur Arbeit, sind Sie gegen Preissteigerungen des öffentlichen Nahverkehrs und der Tankstellen immun. Wohnen Sie in der eigenen Immobilie, können Ihnen zudem Mietsteigerungen relativ egal sein. Ebenso lassen sich die gestiegenen Preise im Bereich Energie (Strom, Gas, Wärme) durch Energieeffizienzmaßnahmen wieder ein wenig auffangen. Darüber hinaus kann Ihnen auch der Wechsel von REWE zu Aldi eine Ersparnis von z. B. 10 Prozent oder mehr bringen, womit Sie mit nur einer bewussten Entscheidung für mehrere Jahre die Preissteigerungen bei Lebensmitteln aufgefangen hätten. Das Ganze hat natürlich seine Grenzen und sicherlich hier und da auch potenziell unerwünschte Nebeneffekte. Bevor Sie sich allerdings aufgrund von Niedrigzinsen und Inflation in risikoreichere Anlagen stürzen, sollten Sie die Möglichkeiten zur Änderung von Kauf- und Lebensgewohnheiten einmal näher betrachten. Hier lässt sich ohne Risiko erstaunlich viel erreichen.
Schalten Sie bei den aktuell wieder verstärkt auftauchenden Anlageempfehlungen („Jetzt Risiko wagen!“) nicht Ihren Verstand ab. Aus unserer Sicht machen risikoreichere Anlagen für den Großteil der privaten Anleger in Deutschland noch immer keinen Sinn. Lassen Sie sich nicht von der Angst vor Inflation treiben und vermeiden Sie den altbekannten Herdentrieb. Spätestens, wenn Bild-Zeitung und Co. die Geldanlage in Aktien und andere risikoreicheren Anlageformen empfehlen, sollten bei Ihnen die Alarmglocken läuten. Viele Anleger sind in der New-Economy-Blase von 2000/2001 den Rufen der großen Medien gefolgt und haben sich in entsprechende Investments gestürzt - mit zumeist eher enttäuschenden Resultaten.
Sollten Sie sich tatsächlich für eine risikoreichere Anlage interessieren, dann stellen Sie unter Berücksichtigung der erwarteten Inflation ganz nüchtern das Verlustpotenzial und die mögliche Rendite einer relativ sicheren Anlageoption (z. B. längerfristiges Festgeld) gegenüber. Nur wenn Sie dabei noch immer ein gutes Gefühl haben, sollten Sie ein Investment mit mehr Risiko tatsächlich in Betracht ziehen. Dann gilt es zudem, das Investment breit zu streuen, wie es die gängigen Anlageexperten auch korrekterweise empfehlen. Seien Sie zudem bereit, auch Phasen mit potenziell massiven Verlusten finanziell und psychisch durchzustehen, ohne dabei in Panik zu geraten und plötzlich alles zu verkaufen. Nur dann macht eine solche Strategie auch tatsächlich Sinn.
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