11.08.2017 - Finanzjoker- 0 Kommentare
Frohlocket, ihr Völker auf Erden: Der Finanzjoker darf weitermachen! Als Dankeschön für den öffentlichen Zuspruch mancher Leser hält er mit gewohnt lockerem Mundwerk eine neue Lektion bereit. Denn dieser hat mit einer Crowdinvesting-Pleite in seinem Anlageportfolio zu tun und soll nun seine Forderungen anmelden. Da das Thema in naher Zukunft an Relevanz gewinnen wird, nimmt er alle Joker-Jünger auf seinen kleinen Flug mit dem Pleitegeier mit. Wie läuft so ein Fall im realen Anleger-Alltag ab? Wie fühlt sich das an? Ein gemeinsamer Blick hinter die Kulissen.
Über Geld spricht man nicht, man hat es. Aber heißt das dann nicht im Umkehrschluss, dass ich erst über Moneten reden darf, wenn ich keines mehr habe? Wenn ich mittellos auf der Straße sitze und es dann schon längst zu spät ist? Na, vielen Dank auch für nichts, Freunde! Oder geht es doch darum, gerade kein Geld (mehr) zu besitzen? Denn wo kein Vermögen, da auch keine Verlustängste. Nach der Logik müssten Millionäre scheinbar jeden Straßenbettler mit purem Lebensneid betrachten…
Aber zum Glück muss sich dein Finanzjoker nicht ernsthaft mit solchen Fragen auseinandersetzen, denn das bescheidene Experiment eines kleinen Narren wird nach einem guten Gespräch mit dem Team von Kritische-Anleger.de tatsächlich weitergeführt. Ausdrücklich dazu beigetragen haben auch Lesermails, die sich in den vergangenen Wochen positiv für eine Fortsetzung meiner Kolumne aussprechen. Ernsthaft, Leute? Dafür einen ganz lieben Dank an alle Leser, sowohl die Stillen unter euch als auch die mit Sprudel! Meine Glöckchen klingeln dermaßen, dass selbst der Glöckner von Notre Dame davon ganz verrückt würde. Zudem war die hiesige Redaktion so nett, mir als Gastautor eine eigene E-Mail-Adresse bereitzustellen. Du kannst mir nun direkt an finanzjoker@kritische-anleger.de schreiben, wenn du an mich persönlich etwas loswerden möchtest. Briefeulen und ‑fledermäuse sind natürlich ebenfalls weiterhin möglich.
So, jetzt aber den Hintern hochkrempeln und die Ärmel aufreißen! Oder andersrum? Egal, wir haben zu tun. Mein persönliches Anlageportfolio in der letzten Kolumne hat großes Interesse hervorgerufen. Einige Leser fanden es u. a. bemerkenswert, dass ich trotz mancher Kritik in zahlreichen Crowdinvesting-Projekten engagiert bin. Allerdings scheint mancher dies jetzt als Freibrief zu sehen, ganz nach dem Motto: „Naja, wenn selbst Joki da in so großer Zahl mitmacht, kann das ja alles so dramatisch nicht sein“. Na na, nicht gleich übermütig werden, mein junger Padawan. Selbst wenn wir mal vom nicht unerheblichen Aufwand bzgl. der Verwaltung oder (Wieder-)Anlage absehen, fehlt dir und den meisten anderen Frischlingen wahrscheinlich eine wesentliche Erfahrung: das Durchleben einer Projektinsolvenz. Selbst die Kritischen Anleger dürfen sich bisher noch mit einem derart glänzenden Portfolio rühmen, da braucht es eine Sonnenbrille zum Betrachten. Aber wie das in Praxis mit einem Totalausfall aussieht und sich anfühlt, können sie dir bisher auch nicht sagen.
Zufälligerweise macht dein kleiner Schelm derzeit einen genau solchen Ausfall im eigenen Portfolio mit. Deshalb werde ich dich jetzt ein kleines Stück auf diesem Weg mitnehmen, damit du selbst einmal siehst, was jederzeit auf dich zukommen kann. Oha…riechst du das? Dieser süßlich-feine Aasgeruch, der deine Nase zu Tode kitzelt? Siehst du den unbarmherzigen Schatten über dir, der immer größer wird? Der Pleitegeier kommt…
Vielleicht erinnerst du dich noch daran, dass ich im Crowdinvesting-Part meines Anlageportfolios von mancher Projektpleite bei meinen Start-up-Abenteuern gesprochen habe. Das Projekt, um das es heute geht, ist Freygeist von Companisto. Das dreiköpfige Gründerteam, das hinter der Aktion steht, hat über die Anlageplattform 1,5 Mio. € Schwarmgelder gesammelt, um die Serienproduktion eines eigenentwickelten Pedelec zu starten. Ein Prototyp mit ersten Testfahrten von potenziellen Kunden, ein erfahrener Hauptinvestor sowie (potenzielle) Partner existierten nach Aussage des Teams zu dem Zeitpunkt bereits. Das Spezielle an dem Pedelec ist, dass der Akku sowie notwendige Verkabelung innerhalb des Rahmens verbaut sind. Dem Fahrrad sieht man dadurch dessen elektrische Trittunterstützung nicht an. Das Ergebnis ist ein optisch schickes und relativ leichtes Stahlross mit den versteckten Vorteilen eines Elektrorads:
Ich muss zugeben: Die Idee und das Design haben mich richtig angesprochen. Auch dein Finanzjoker ist schließlich nur ein Mensch und lässt sich gern von manch passendem Konsumangebot verführen. Ich hätte mir gut vorstellen können, ein solches Prachtexemplar zu erwerben, wenn die Kinderkrankheiten aus der Startproduktion beseitigt worden wären und sich das Unternehmen etabliert hätte. Tja…hätte, hätte, Fahrradkette, denn es sollte anders kommen (einen Euro in das Phrasenschwein, bitte). Aber gehen wir zunächst zum Einstieg die grobe Chronologie bis zur Insolvenzanmeldung durch.
„Und wo ist da nun dein Wetteinsatz, du alter Fischkopp?“ Halt deine Schotten beisammen, Matrose, dazu komme ich ja jetzt. Aber fall bitte nicht vom Hocker, ok? Ich war so mutig und habe sage und schreibe 200 € in Freygeist reingesteckt. Bämm, da zischt der Finanzjoker mit seinem gebrauchten Ligier Optima davon! Nein ernsthaft, ich habe am 16. sowie am 30. April 2015 jeweils 100 € in das Projekt gesteckt. Wie in meiner letzten Kolumne erwähnt: Das mache ich in diesem Anlagebereich nicht aus Renditegründen. Ich will einfach nur eine nette Idee unterstützen. Ich war hier mehr an dem Endprodukt interessiert, was sich ja nun leider erübrigt hat.
„OK verstehe, Joki. Aber warum diese zwei Tranchen á 100 €? Hast doch ein bisschen mehr zocken wollen am Ende; nicht wahr, du kleiner Schlawiner?!“ Yepp, erwischt. Als am 30. April die Meldung von der geknackten 1 Mio. € rauskam, hat mich kleinen Narren nochmal der Spieltrieb gepackt und ich hab einen zweiten Hunderter rüberwachsen lassen. Ich mochte die Idee wirklich und dass das auch auf andere Leute in großer Zahl zutraf, fand ich einfach schön. Warum nicht auch mal einfach auf emotionale Ebene gehen und einfach aus Spaß in einer Investorengruppe ein interessantes kleines Unternehmen auf Probe begleiten? Mir persönlich ist es die Erfahrung wert gewesen.
Wie es nach dem Ende der Crowdinvesting-Kampagne weiterging? Ganz gut. Bis in das Jahr 2016 hinein hat das Gründerteam die Firma nach und nach hochgezogen und mit der Produktion der ersten Serienreihe begonnen. In der ersten Hälfte des vergangenen Jahres begann schließlich die Auslieferung und der Vertrieb der Räder. Zudem konnte Freygeist eine zusätzliche Zwischenfinanzierung von einem einzelnen strategischen Investor vermelden. Auch der im Oktober 2016 veröffentlichte Quartalsbericht an uns Rad-(C)Rowdys der Finanzszene las sich optimistisch. Darüber hinaus wurden gleich zwei neue Modelle für das Jahr 2017 angekündigt.
Und dann der Paukenschlag mit Thors Hammer am 21. Dezember: Rechtzeitig zum anstehenden Fest kommt die Mitteilung, dass die Pedelec-Bauer Insolvenz anmelden müssen. Frohe Weihnachten alle zusammen! Was war passiert? Es scheint eine unglückliche Mischung aus akutem Bedarf an neuen Finanzmitteln zur Expansion, Querelen mit einer neuen Geschäftsführung sowie offenen und nicht mehr eintreibbaren Forderungen ggü. Dritten gewesen zu sein. Mehr Details möchte ich aus rechtlichen Gründen nicht erwähnen, aber die generelle Aussage dieses externen Artikels zur Freygeist-Insolvenz stimmt schon. Aber ich muss dem Gründerteam ausdrücklich zugute halten, dass diese in der Insolvenz-Mitteilung (und auch in den Kommentaren) uns Kleininvestoren von vornherein sehr umfassend und detailliert über die gesamte Geschichte aufgeklärt haben. Davon kann sich mancher Projektbetreiber in der allgemeinen Crowdinvesting-Szene eine oder besser gleich zwei dicke Scheiben abschneiden.
Jedenfalls hieß es nun abwarten, bis das zuständige Amtsgericht einen Insolvenzverwalter benennt, der nach eingehender Prüfung des Unternehmens dann entscheidet, ob die Firma noch auf irgendeine Weise fortgeführt werden kann oder letztendlich liquidiert, also aufgelöst wird. An diesen richtet man dann auch seine Forderungen, wenn man versuchsweise sein Darlehen zurückerhalten will. Hierzu musst du auch im Hinterkopf behalten, dass ab dem Zeitpunkt der Insolvenzanmeldung der Projektbetreiber von sich aus keine Kommunikation nach außen führen darf, ohne sich mit dem Insolvenzverwalter abzustimmen. Es bringt also in einem solchen Fall nichts, wenn Schreihälse sich im Investorenforum über die nun möglicherweise kärglichen Informationen auslassen und sich den Hals wund schreien. Den Gründern sind ab diesem Moment schlicht die Hände gebunden. Erst am 15. Februar diesen Jahres gab es schließlich eine erneute Nachricht von Companisto, dass Rechtsanwalt Thomas Kühn von Brinkmann & Partner mit Gerichtsbeschluss vom 06. Februar zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt wurde.
Seitdem: Absolute Funkstille. Warten. Ahnungslos bleiben. Sich gedulden. Du fängst im Prinzip an, das ganze Thema schon fast zu vergessen. Das Leben geht schließlich weiter und der kommende Sommerurlaub will auch geplant werden. Und dann kommt dein Finanzjoker Mitte Juni munter von der Arbeit nach Hause, öffnet seinen Briefkasten und findet darin einen dicken Brief von einer Kanzlei in Berlin. Nach vier langen Monaten, ohne jedes Update oder Mitteilung zwischendurch, weder auf Companisto noch vom Insolvenzverwalter direkt. Mich mit meinen läppischen 200 €, die ohnehin nur Spielgeld waren, hat das nicht groß gekümmert. Aber stell dir vor, du wärst einer von den Top-Investoren, die da eben mal 12.500 € reingesteckt haben. Das muss man mental erstmal durchhalten. Für manche dieser Leute mag selbst diese Summe nur Spielgeld gewesen sein. Aber ich bin mir sicher, da ist auch mancher dabei, der aus Gier mehr gezockt hat, als er sich leisten kann. Bei insgesamt mehr als 1.000 Einzelinvestoren ist das schon aus statistischen Gründen sehr wahrscheinlich, ohne dass ich eine Statistik fälschen muss.
Damit kommen wir zum Kern unserer heutigen Bravo-Lovestory: Wie sieht es aus, wenn ein Kleinanleger seine Forderungen aus einem Crowdinvesting-Projekt anmelden will?
Disclaimer: Der Prozess wird nicht exakt so ablaufen, wenn dein erstes grünes oder Immobilien-Schwarmprojekt pleitegeht. Der allgemeine Ablauf sollte aber recht ähnlich sein, also aufgepasst!
Ok, aber was war denn nun im Briefumschlag drin?
Ok, scheint also keine „Mission Impossible“ zu sein, meine zweihundert Ocken zumindest formal zurückzufordern. Dann mal ab zur Homepage der Kanzlei und dort zu dem Part, der sich mit Insolvenzen beschäftigt. Jetzt erstmal das Freygeist-Verfahren aus der Liste raussuchen – voilà:
Ein Klick auf “Forderungsanmeldung” oben rechts und schon startet der Prozess. Sehr schön finde ich, dass gleich als Erstes eine Liste kommt, was ich alles an Informationen vorbereiten sollte, um nicht zwischendurch nach Unterlagen suchen zu müssen. Das kann sogar ein Hampelmann wie ich, der seinen Ordnungssinn immer am Gartentor abgibt:
Schade finde ich aber den Hinweis am Ende, dass ich zwar alle benötigten Informationen online eintragen und übermitteln kann, aber dennoch alles zusätzlich ausdrucken und per Post an die Kanzlei schicken muss. So oder so komme ich also nicht drum herum, noch mindestens eine Briefmarke sowie etwas Druckpapier und -tinte an Lehrgeld abdrücken zu müssen.
Weiter im Text: Nach dem Log-in mit den Anmeldedaten aus dem Briefanschreiben muss ich erstmal eine allgemeine Informationen über mich eintragen. Name, vollständige Adresse, Bankverbindung…“Wollen Sie Ihre Forderung(en) als Privatpersonen (Herr, Frau, Eheleute) anmelden?“ Nein, als Hubschrauber oder Schnabeltier bitte. Geht nicht? Nagut, dann eben „Ja“ klicken…Aah, jetzt reden wir Tacheles:
Da ich ja zweimal die gleiche Summe von jeweils 100 € in Freygeist reingesteckt habe, muss ich für beide Einzelinvestitionen auch jeweils eine eigene Einzelforderung eintragen. Einfach die Gesamtsumme von 200 € eingeben und gut ist? Ich sehe, du hast schon mehr Joker-Humor als ich dachte. Lass uns einfach weitermachen und die Höhe sowie Art der Forderung eintragen:
Im nächsten Schritt werde ich gefragt, ob ich für meine Forderung bereits irgendeine Sicherheit vom Schuldner erhalten habe, z. B. eine Grundschuld zur Darlehensbesicherung. Natürlich nicht. Die einzige Sicherheit, die ich von einem schwarmfinanzierten Start-up erhalte, ist die höhere Wahrscheinlichkeit für ein Scheitern anstelle eines Erfolgs. Beim Immobilien-Crowdinvesting könnte es an dieser Stelle anders aussehen. Wir sollten uns auch hier eine Pleite wünschen, damit wir das einmal hautnah in der Praxis erleben können, oder?
Aber ich schweife ab. Als Nächstes werde ich gebeten, meine Zinsansprüche für die zugrundeliegende Einzelforderung einzutragen:
Ganz ehrlich, Leute? Null Bock drauf. Für die 100 € und sehr geringe Wahrscheinlichkeit, allein diese zurückzuerhalten, soll ich mir die Mühe machen, jetzt noch hypothetische Zinsen ab 2015 geltend zu berechnen? Da verdiene ich mit dem Zurückbringen meiner Pfandflaschen mehr. Aber wir beide haben es wenigstens einmal gesehen.
Anschließend hatte ich noch die Möglichkeit, bestimmte Kosten wie z. B. Mahnkosten mit anzugeben. Betrifft wahrscheinlich eher Gläubigergruppen wie etwa Lieferanten, die gewisse Vorleistungen getätigt haben und schon erfolglos diese einzutreiben versuchten. In meinem Fall bleibt das auch leer:
Damit haben wir das Zwischenziel einer ausgefüllten Einzelforderung erreicht, Freunde. Jetzt nur noch der Hinweis, dass für diese der entsprechende Nachweis beigelegt werden soll, wenn die Dokumente mit der Post an die Kanzlei geschickt werden:
Jetzt haben wir den ersten meiner beiden Investitionsbeträge als Forderung angemeldet. Für die anderen 100 Mäuse wiederholen wir diesen Teilprozess. Kurzer Sprung mit meiner Zeitmaschine in die Zukunft und dann sieht das Ergebnis so aus:
Geschafft, wir sind am Ende! Es kommt nur noch eine Zusammenfassung aller eingegebenen Daten, die es final auf Korrektheit zu prüfen gilt. Wenn alles passt, können wir zum Abschluss das vollständige Dokument abspeichern und ausdrucken, um es zu unterschreiben und zusammen mit den Belegen für meine Forderungen an die Kanzlei zu schicken:
Ab in die Post damit und dann heißt es wieder „Nur mit Warten gehörst du zu den Harten“, obwohl sich das Warten eigentlich nicht lohnt. Denn wie gesagt, als Nachrangdarlehensgeber hast du so gut wie keine Chance, hier noch irgendwas zurückzubekommen. Mir ist das in diesem Fall egal. Aber auch dem, der hier 10.000 € verlieren könnte?
In dieser zukünftigen Situation will ich nicht zum ersten Mal besagte Monate voller Unwissenheit abwarten müssen, ohne auch nur die geringste Ahnung zu haben, was aus welchem Grund passiert oder wie es weitergeht. Stattdessen kann ich mit buddhistischer Gelassenheit mit den Schultern zucken und mein Leben weiterleben, bis ich eine Nachricht erhalte. Weil ich weiß, was ungefähr passieren wird. Du als mein Leser weißt das jetzt sogar für umsonst, du schlauer Sparfuchs du. Mach’ dich also nicht verrückt, sondern bleib’ stets ein Finanzjoker. Aber sei nicht immer ein Narr.
Dein Joki
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