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Dämmert es? Licht und (lange) Schatten beim Immobilien-Crowdinvesting

11.06.2017 - Finanzjoker- 0 Kommentare

Crowdinvesting bei Immobilien boomt derzeit und scheint unbefleckt. Inwiefern das stimmt und nicht stimmt, zeigt heute der Finanzjoker.

Derzeit boomen Plattformen für die Schwarmfinanzierung von Immobilienprojekten und verkünden einen Rekord nach dem anderen. Da es zudem bisher (noch) keinen Projektausfall gab, scheint manch kleiner Möchtegern-Immobilienspekulant die Branche mit einem gewissen Heiligenschein zu betrachten. Grund genug für mich Finanzjoker, die dunkleren Ecken der Crowdinvesting-Szene mal genauer auszuleuchten. Und siehe da: "Es ward Licht und Er sah, dass es gut war". Aber wo Licht, da ist auch Schatten! Und der ist mal gar nicht so blass...

Na, mein Narrenfreund, hast du dich mittlerweile von der letzten Kolumne wieder erholt und dich mal mit deinen neuen „besten Freunden“ Sherlock Holmes und Lucky Luke zusammengesetzt? Ich hoffe ihr habt euch gut kennengelernt, denn nachdem wir zuletzt nur knietief in die allgemeine (Anleger-)Psychologie eingestiegen sind, wollen wir heute richtig in das Thema eintauchen. Dafür brauchen wir Sherlocks geballte Geisteskraft und massenweise Energie(riegel)...

Nein, kleiner Spaß. Heute gibt’s mal wieder Konkretes zum „Anfassen“. Erinnerst du dich noch an den Finanzdarwinismus, wo ich u. a. die AGB einer grünen Crowdinvesting-Plattform für dich auseinandergenommen habe? Da ist für manchen Leser sicherlich die ein oder andere Überraschung aufgetaucht, etwa bei der „Prüfung“ der Projekte durch die Plattform selbst. Heute steigen wir wieder in die Crowdinvesting-Szene hinab, allerdings im Immobilienbereich. Die dort aktiven Anlageplattformen werden ja aktuell von Kleinanlegern schon extrem gehypt und quasi überrannt. So sehr ich das auch nachvollziehen kann (ich Finanzjoker investiere auch dort), missfällt mir gleichzeitig die Naivität und Blindheit mancher Möchtegern-Immobilienspekulanten, dass da „nichts schiefgehen kann“ und man selbst ja so schlau und umsichtig agiere. Dabei haben vermutlich wenige von euch eine Ahnung, wie lang mancher Schatten in der Szene mittlerweile geworden ist. Zeit also, mal ein bisschen aufzuräumen und so manche “Tatsache” z. B. bei einem Projekt auf der Anlageplattform Bergfürst auszuleuchten. Aber nicht mit der Taschenlampe, sondern mit einer ganzen Flutlichtanlage!

Didi – Der Doppelgänger: „Ich brauche mehr Details!“

Vielleicht ist dir das in der Reihe zum Crowdfunding-Tagebuch hier bei den Kritischen Anlegern schon einmal aufgefallen: Wenn es um die mit der Anlageform verbundenen Risiken oder Probleme geht, tauchen zwei Aussagen immer wieder auf. Nämlich:

  1. Viele Projektentwickler würden mit mehreren Projekten auf einer Plattform für Immobilien-Crowdinvesting vertreten sein, sodass sich daraus ein Konzentrationsrisiko ergäbe.
  2. Einige Projektentwickler seien auf mehreren Plattformen aktiv, sodass trotz Nutzung unterschiedlicher Marktplätze ein erneutes Konzentrationsrisiko entstehen könne, wenn die eigentlich über verschiedene Plattformen gestreuten Gelder letztendlich doch bei ein und demselben Projektierer landen.

Diese und ähnliche Aussagen, die ich zuweilen auch bei manch anderer Finanzseite entdecke, finde ich ja auch gut und wichtig und schön. Aber was mir jedes Mal fehlt, sind Beweise. Es kommen besagte Statements – und das war's. Keine konkreten Beispiele mit Namen der betroffenen Projekte oder Entwickler, keine Übersichtslisten o. Ä. Tut mir wirklich leid, all ihr lieben Webseitenbetreiber, aber für diese mangelhafte, weil nicht vorhandene Beweisführung kann ich nur die Note 4+ vergeben. Das Plus gibt es auch nur zur Anerkennung der an sich guten Idee. Wenn es aber niemand macht...*seufz*... dann muss der König unter den Finanznarren eben selbst prüfen. Also dann: Auf den Hintern setzen, Laptop und Internet hochfahren, Ärmel hochkrempeln und das erste Level im Spiel starten!

Fehlalarm und viel heiße Luft um nichts?

Um beide Aussagen verifizieren oder falsifizieren zu können, bin ich die (nach Projektanzahl) größeren Plattformen für schwarmfinanzierte Immobilienprojekte aus Deutschland und Österreich einfach mal durchgegangen - Projekt für Projekt. Welcher Projektentwickler steht letztendlich hinter der ggf. extra für das einzelne Projekt gegründeten Zweckgesellschaft als vordergründig offizieller Kreditnehmer? Und tanzt derjenige dann wirklich auf mehreren Hochzeiten, ergo Plattformen? Das Ergebnis meiner Analyse (an dieser Stelle vielen Dank an das Team von Kritische-Anleger.de für das Organisieren und Bereitstellen der Grafiken):

Anzahl der Immobilienprojekte und Top-Projektierer bei deutschen Plattformen

Und für unsere Nachbarn in der Alpenrepublik sieht das Ganze dann so aus:

Anzahl der Immobilienprojekte und Top-Projektierer bei österreichischen Plattformen

Tauchen tatsächlich immer wieder dieselben Verdächtigen auf, die sich nur hinter Projektgesellschaften mit anders klingendem Namen verstecken? Finanzieren wir seit Jahren in Wirklichkeit ein Immobilienkartell im Internet? Setzen wir alle mal für einen Moment unsere Alu-Hüte wieder ab und nehmen gemeinsam die tatsächlich erzielbaren Erkenntnisse auf:

  • Ja, fast jede Plattform hat in der Tat ihre 1-3 „Haupt-Partner“, die sich mehr Projekte kofinanzieren lassen haben als die jeweils anderen Mitspieler auf der spezifischen Plattform. Bei Zinsland ist z. B. Tecklenburg mit Abstand Spitzenreiter, bei Exporo verteilt sich das (zumindest aktuell) demokratischer.
  • Bei den Platzhirschen wie Exporo, Zinsland und dagobertinvest fallen Projektentwickler mit bisher mehr als einem schwarmfinanzierten Immobilienprojekt allerdings nicht übermäßig ins Gewicht. Erst recht nicht, wenn alternativ Projektierer mit bisher maximal zwei gefundeten Projekten betrachtet werden.
  • Je kleiner allerdings die Plattform in Bezug auf die bisher gelisteten Projekte ist, desto größer ist tatsächlich die Gefahr einer Konzentration (siehe z. B. Immofunding und iFunded).

Bevor du als mein folgewilliger Joker-Aspirant jetzt aber mit Fackel und Mistgabel auf die bösen kleinen Anbieter losrennst: Dass gerade die kleineren Wettbewerber dieses Problem aufweisen, ist nicht per se schlecht oder böswilligen Absichten geschuldet. Vielleicht braucht eine neue Crowdinvesting-Plattform zwingend einen Hauptpartner, der nämlich für den Start überhaupt erstmal Projekte bereitstellt? Eine Anlageplattform muss ja zunächst erst einmal ein Mindestmaß an Aufmerksamkeit und eingesammelten Anlegergeldern erreichen, bevor sie auch für Dritte und deren Projekte interessant wird. Das Henne-Ei-Problem also…

Jede weiße Weste hat manch graue Stelle

Im Zuge der Analyse der einzelnen Plattformen und der dort gelisteten Immobilienprojekte sind mir altem Hobby-Aufrührer noch einige weitere Dinge aufgefallen. Manches dürfte bekannt sein, anderes hingegen wahrscheinlich weniger:

  • Die Skjerven Group ist nicht nur über mehrere einzelne Projektgesellschaften der bisherige Haupt-Partner der Berliner Anlageplattform iFunded. Die Immobiliengesellschaft ist auch Anteilseigner derselben. Ist das also nicht schon irgendwo Unternehmens- und keine reine Projektfinanzierung mehr? Alles ist eben im Fluss, auch manche Grenze. Und spielt das überhaupt eine Rolle für dich persönlich?
  • Die österreichische Crowdinvesting-Plattform dagobertinvest ist von der Unternehmensberatung zederbauer + partner gegründet worden, um auf diesem Weg wahrscheinlich ein zusätzliches Geschäftsfeld für sich zu öffnen. Denn das Beratungsunternehmen bietet nach eigener Aussage u. a. die Beratung, Analyse und Unterstützung der jeweiligen Projektanbieter bzgl. einer Listung auf der Plattform zwecks Einsammeln von Anlegergeldern an. Aber auch hier bitte fair bleiben: Das kann man zwar unter Unabhängigkeitspunkten durchaus diskutieren. Per se schlecht ist es jedoch nicht. Zumal diese Beziehung offen auf der Seite von dagobertinvest kommuniziert wird.
  • Etwas weniger glücklich bin ich als Finanzjoker hingegen mit Immofunding und dessen Haupt-Partner P&R Holding, der sich drei von vier bisher aufgeführten Projekten finanzieren lassen hat. Denn wie Blogger Christian von Finanzeinstieg.de feststellte, stehen die Buchstaben „P“ und „R“ im Namen der Projektentwicklers für Stefan Peirleitner und Michael Reckendorfer – das sind auch die Gründer und Betreiber der Anlageplattform Immofunding. Also schon eine Unternehmensfinanzierung hoch zwei mit fadem Beigeschmack? Möglich. Ein No-Go für deine zukünftigen Investitionen? Keine Ahnung, das musst du selbst entscheiden. Für die beiden Herren scheint das jedenfalls kein Problem zu sein. Da bin ich ja beruhigt...
  • Bei Zinslands Historie von bisher finanzierten Projekten findet man weiter unten in der Aufzählung ein Projekt namens „München Nymphenburg“. Das Ungewöhnliche daran: Es trägt den Banner „Exklusiver Club Deal“ und ist auch nach dem Login in keiner Form weiter einsehbar. Es gibt einen Club? Und warum habe ich während der Funding-Phase nie etwas von dem Projekt erfahren? Eine kurze Nachfrage per E-Mail ergab zusammengefasst folgende Antwort: Der Projektanbieter wollte explizit ein nicht-öffentliches Funding. Daher wurde das Projekt auch explizit nur Anlegern auf persönlichem Wege angeboten, die auf Basis bisheriger Investitionssummen in der Lage schienen, mindestens 10.000 € in ein einzelnes Projekt stecken zu können. Kleinstanleger versus „Klein“anleger also. Das ist für mich persönlich übrigens nicht verwerflich, sondern zeigt uns allen nur, dass auch bei dieser demokratischen Finanzierungsform wie überall sonst in der Finanzszene die alte Regel gilt: Alle sind gleich, aber manche sind gleicher. Crowdinvesting wird eben erwachsen(er).

Am Ende ist doch alles gut! - Wer sagt denn, was wir schon am Ende sind?

Auch den zweiten Vorwurf, dass sich einzelne Immobilienprojektierer auf mehreren Plattformen tummeln würden, habe ich mir frecherweise nachzuprüfen erlaubt. Die entsprechenden Ergebnisse wollte ich eigentlich auch einfach und schnell verständlich als Grafik aufzeigen. Ich habe aber nach Ende der Analyse darauf verzichtet. Warum? Weil die Anzahl der Projektierer, die tatsächlich auf mehreren Hochzeiten tanzen, im Verhältnis zu allen bisher gelisteten Projekten lächerlich gering sind. Dafür reicht auch auch folgende simple Aufzählung (Stand ebenfalls 04. Juni 2017):

  • Fortis Wohnwert (3 Projekte bei Exporo, 1 Projekt bei Zinsland)
  • MGMT Immobilien (2 Projekte bei Exporo, 1 Projekt bei Bergfürst)
  • WirtschaftsHaus AG (1 Projekt bei Exporo, 1 Projekt bei Zinsland)
  • AVORIS Immobilienentwicklung (1 Projekt bei Zinsland, 1 Projekt bei HomeRocket)
  • D.E.S. Immobilien Consulting (1 Projekt bei Zinsland, 1 Projekt bei Bergfürst)
  • Außenalster WPB Wohnungsbau (1 Projekt bei Exporo, 1 Projekt bei ReaCapital)

Also jetzt mal ganz ehrlich, liebe Finanzschreiberlinge: Was ist los? Kann es sein, dass hier eher nur Staub aufgewirbelt wird? Denn der Aufzählung zufolge sehe ich für mich: Ja, das Auftreten eines Projektentwicklers bei mehr als einer Plattform kommt vor. Angesichts der gesamten Anzahl an Projekten und entsprechenden Anbietern erscheint mir das aber bisher als ein vernachlässigbares Problem. Und jetzt bitte nicht erneut die Mistgabel hervorholen und polieren, um sie diesmal gegen mich kleinen Finanzfilou zu richten. Ein ggf. vorausschauend gemeinter Hinweis an die Leser hinsichtlich solcher denkbaren Problemkonstellationen begrüße ich absolut. Aber bitte nicht auf Basis von Pauschalaussagen, die Pferde vorab übermäßig scheu machen.

„Saubere Sache, Joki! Dann scheint ja innerhalb der Immobilien-Crowdinvesting-Szene alles in Butter zu sein. Keine Konzentrationsrisiken bzgl. der Projektierer, keine Ausfälle bisher, der Immobilienboom hält weiter an...Haha – nehmt das, ihr dauernervenden Alarmistenblogger!“

Selber „Haha“, denn was wäre der Finanzjoker schon, wenn er seiner Rolle als Erleuchter dunkler, schmutzigen Ecken auch in dieser (schein)heil(ig)en Welt nicht gerecht würde! Haben wir es bei der Schwarmfinanzierung von Immobilien wirklich mit einem außergewöhnlich verhaltensunauffälligen Anlagesegment zu tun? Ganz und gar nicht, wie folgendes, sogar topaktuelles Beispiel zeigt. Hatte das jemand von euch Superinvestoren auf dem Bildschirm?

Der Finanzjoker als Spaßbremse auf der Immobilienparty

Wer öfters mal bei Bergfürst vorbeischaut, kennt möglicherweise das vor knapp einem Jahr gefundete Projekt „Nordkap Erfurt“, bei welchem der Bau eines Wohn- und Geschäftshauses in Erfurt durch uns als Anlegerschwarm kofinanziert wurde. Disclaimer: Auch ich persönlich bin darin investiert und spiele Immobilienprofi. Jetzt aber aufgepasst und genau mitlesen:

Informiert man sich einmal genauer über den Projektentwickler, scheint alles sehr sauber zu sein. Als alleinverantwortlicher Umsetzer des Projekts wird in der Übersicht weiter unten die Nordkap Wohnbau GmbH genannt. Googelt man den Namen, kommen wir auch auf eine externe Projektwebseite, die wunderhübsch anzusehen ist, wenn sie auch wenig harte Fakten neben dem üblichen Werbe-Blabla enthält. Unter dem Menüpunkt „Über uns“ wird auch eine Google-Karte mit dem Standort des Erfurter Büros gezeigt. “Erfurter Büro”? Exakt, denn macht man sich noch die Mühe, kurz ins Impressum zu schauen, entdeckt man den Hauptstandort der Nordkap Wohnbau GmbH in Marktredwitz, Bayern. Nichts Ungewöhnliches, aber dennoch gut merken! Wir kommen nämlich gleich nochmal auf das kleine 17.000-Seelen-Städtchen zurück…

Der Witz der Geschichte beginnt aber erst, wenn man bei Bergfürst nochmal das 29-seitige Exposé des Projekts durchliest und dabei es bis auf Seite 16 geschafft hat, ohne vorher aufzugeben. Hier heißt es im dritten Absatz auf der linken Seite schlicht: „Alleiniger Gesellschafter der Nordkap Wohnbau GmbH ist die Derivest GmbH mit ihren Geschäftsführern Gerhard Schaller und Markus Fürst.“ Derivest GmbH? Wo kommen die denn jetzt auf einmal her? Warum dieses Verstecken? Und was haben die mit dem Projekt zu tun? Eine (erste) Antwort gibt es im Bereich „Fragen & Antworten“ der Projektseite auf Bergfürst (die du aber nur erreichst, wenn du ein Nutzerkonto bei der Anlageplattform hast). Anscheinend hat wenigstens ein Nutzer es richtig gemacht, sich die Projektinformationen genau angeschaut und folgerichtig die kluge Frage gestellt, wie konkret die Derivest GmbH in das Projekt eingebunden sei. Zumal die Firma in den Jahren 2011-2014 „erhebliche Fehlbeträge“ in ihren Jahresbilanzen ausgewiesen habe (Anmerkung Finanzjoker: Fehlbeträge in der Bilanz? Über mehrere Jahre weg? Ooh, ich spüre schon den süßen Nervenkitzel!).

Und die Antwort von Nordkap Erfurt?

  • Derivest sei zwar tatsächlich der Alleingesellschafter, aber operativ nicht eingebunden.
  • Die genannten Bilanzverluste seien tatsächlich gegeben (kann ich als Finanzjoker nach eigener Prüfung der Jahresabschlüsse im Bundesanzeiger ebenfalls bestätigen), seien aber „naturgemäß [und] aufgrund der Vertriebs-, Konzeptions-, und Investitionskosten normal“ (kann ich nicht beurteilen).
  • Für 2015 sei im Gegenzug ein Gewinn von 1 Mio. € ausgewiesen worden (kann ich närrischer Pedant so nicht bestätigen, es sind „nur“ rund 771.000 € Jahresüberschuss) und für 2016 werde auch ein Gewinn ausgewiesen. Dazu kann ich leider nichts sagen, da der Jahresabschluss fürs vergangene Jahr bisher leider nicht öffentlich verfügbar ist.

Zwischenfazit: Ich bin wahrlich kein Kenner der Immobilienbranche. Keine Ahnung also, ob diese Verluste der Derivest GmbH wirklich so „naturgemäß“ sind und dass die Firma als Muttergesellschaft keine Rolle für das Projekt oder den Projektentwickler spiele. Aber dieses kleine Versteck- sowie Frage-Antwort-Spiel macht mich neugierig. Das riecht doch stark nach einer lohnenswerten Nebenquest in unserem Hauptspiel!

Festhalten! Wir beginnen die Fahrt mit unserer Achterbahn der Gefühle

Die Webpräsenz der Derivest GmbH wirkt auf dem ersten Blick recht normal, wenn auch etwas nüchtern und karg an konkreten Informationen. Gleich auf der Startseite erkannte man immerhin, dass die Derivest GmbH wiederum eine Tochtergesellschaft der Sensus Vermögen GmbH ist, ein Vermögensverwalter für Privat- und institutionelle Anleger (eine Verlinkung ist mittlerweile nicht mehr möglich, da die Internetseite nicht mehr existiert, Stand 26.07.2018). Ein Blick in die Adresse und Geschäftsführung der beiden Unternehmen lässt mich meine erste Augenbraue hochziehen:

  • Beide Unternehmen sitzen an der gleichen Adresse, in der Thölauer Straße 13 im bayrischen Marktredwitz. Moment...Marktredwitz? Ist dort nicht auch Nordkaps Hauptsitz, welcher etwas versteckt im Impressum der Projektwebseite angegeben wurde? Exactement, lieber Leser! Und nicht nur das: Nordkap sitzt darüber hinaus ebenfalls in der Thölauer Straße 13. Also, ich hab’ ja persönlich nichts gegen Gruppenkuscheln. Aber das alles ist mir dann doch etwas zu eng dafür, dass diese organisatorische und räumliche Nähe in dieser Form nicht wirklich in der Projektbeschreibung auf Bergfürst deutlich wird.
  • Der Geschäftsführer der Derivest GmbH, ein Herr Markus Fürst, ist gleichzeitig Gesellschafter und Prokurist der übergeordneten Vermögensberatungsgesellschaft, geleitet von einem Herrn Gerhard Schaller. Auch das ist für mich als schelmischer Spürhund nicht gerade das Gelbe vom Ei, was Unabhängigkeit betrifft. Fairerweise muss ich aber sagen, dass hier wenigstens ein Hinweis zu diesem potenziellen Interessenkonflikt existiert hat (ja, ich schaue euch an, liebes Immofunding-Team).

Das überzeugt dich noch nicht, weil trotz allem Nachgeschmack immer noch recht harmlos aus deiner Sicht? Keine Sorge, der finale Looping in unserer Gefühls-Achterbahn kommt jetzt erst. Was mich kleinen Finanznarr auch meine zweite Aufgenbraue hochziehen lassen hat, ist eine simple Eingabe von „Derivest GmbH“ bei Google. Gleich bei den ersten Top-Ergebnissen der Suche taucht das Unternehmen in Verbindung mit Schlagworten wie „Totalverlust“, „Brennpunkt“ und „gekündigte Darlehensverträge mit Anlegern“ auf. Aber noch erstaunlicher, dass zahlreiche Ergebnisse nicht etwa auf Webseiten sensationslüsterner Sonntagspresse verweist, sondern v. a. zahlreiche Kanzleien und Rechtsanwälte vor Ungereimtheiten und undurchsichtigem Verhalten der genannten Unternehmens warnen und (rechtliche) Hilfe oder Rat anbieten (siehe hier, hier oder auch hier).

Für die Lesefaulen unter uns die Kurzversion des wahnsinnigen Theaterstücks: Eigentlich beginnt die Geschichte damit, dass die liechtensteinische Autark Invest AG seit längerem im Fokus der deutschen und liechtensteinischen Ermittlungsbehörden steht. Vorwurf: Anlegerbetrug, Untreue, Geldwäsche, dubiose Finanzgeschäfte. Das führte u. a. dazu, dass Stiftung Warentest das Unternehmen Anfang diesen Jahres auf die „Warnliste Geldanlageangebote“ setzte. Darüber hinaus berichtete Stiftung Warentest im April 2017 über mehrere Anlegerklagen gegen die Autark Invest aufgrund nicht erfolgter Rückzahlung von fristgerecht gekündigten Geldanlagen.

„Mein Beileid für all die betroffenen Leute, Joki, aber...was hat das mit Derivest zu tun?“

Ganz einfach: Derivest sowie die Muttergesellschaft Sensus Vermögen befinden sich seitdem ebenfalls auf der Warnliste der Verbraucherorganisation. Warum? Weil die Ermittlungen bzgl. Autark sich mittlerweile auf diese beiden Unternehmen ausgeweitet haben, denn Stiftung Warentest zufolge sei „der Verbleib von Anlegergeldern in zweistelliger Millionenhöhe ungeklärt, die Autark anderen Firmen – der Sensus Vermögen GmbH und der Derivest GmbH aus Marktredwitz – anvertraut hatte“. Anscheinend ermittelt die Staatsanwaltschaft Hof derzeit gegen die beiden uns schon bekannten Geschäftsführer Markus Fürst und Gerhard Schaller u. a. wegen privater Zweckentfremdung von Anlegergeldern sowie Betrug. Zudem „hat die Staatsanwaltschaft nach den Unterlagen bei der Derivest bereits seit 2012 nicht durch Eigenkapital gedeckte Fehlbeträge festgestellt“. Also anscheinend doch nicht alles so „naturgemäß“, wie Nordkap Erfurt im Frage-Antwort-Spiel oben angab?!

Jetzt sind wir wirklich am Ende – aber wird es noch gut?

Damit schlagen wir auch wieder den finalen Bogen zurück zum Bergfürst-Projekt. Jetzt mal Butter bei die Fische, mein lieber Joker-Jünger bzw. Jüngerin: Glaubst du selbst wirklich noch, dass Nordkap Erfurt als Projektgesellschaft bzw. das Projekt absolut gar nicht betroffen sein könnte? Dass die räumliche und organisatorische Nähe von Projektierer und Muttergesellschaft in Verbindung mit den obengenannten Vorwürfen ggü. manchen Beteiligten nicht zumindest die Frage aufwirft, wie es sich mit den Anlegergeldern für das Immobilienprojekt verhält?

Ich sage übrigens nicht, dass es zwangsläufig zum Schlimmsten kommen muss. Vielleicht sind wir Bergfürst-Anleger wirklich nicht davon betroffen. Laut erstem Quartalsbericht 2017 von Nordkap Erfurt vom 11. Mai befinde man sich im Zeitplan, die Kosten würden im geplanten Rahmen liegen und die Liquidität sei gesichert. Hört sich gut an, kann ich aber nicht überprüfen. Der Bericht besteht nämlich nur aus zwei Seiten: Eine Seite nur mit Fotos vom Bauprojekt und eine Seite mit obigen Pauschalaussagen, die teils ohnehin nur aus einem einzigen Satz bestehen. Andererseits: Derivest kündigte Ende April diesen Jahres zahlreiche Nachrangdarlehen seiner Anleger, könne aber scheinbar „aufgrund einer Liquiditätsschwäche“ keine Rückzahlungen leisten. Daher würde man von seinem Recht auf spätere Rückzahlung, wie in den Bedingungen für Nachrangdarlehen beschrieben, Gebrauch machen und man würde im zweiten Halbjahr 2017 nochmal prüfen. Wir erinnern uns: Auch bei schwarmfinanzierten Immobilienprojekten wird mit Nachrangdarlehen gearbeitet und auch hier haben Projektentwickler die Möglichkeit, Auszahlungen zu verschieben, sofern diese zur Insolvenz des Unternehmens führen könnten. Oh, du unsäglich süße Unsicherheit…

So, Freunde! Ich brauche jetzt erstmal ein kleines Schnäpschen nach dieser Achterbahnfahrt. Jemand von euch dabei? Ich selbst werde ich jetzt einfach mal entspannt das Projektende abwarten und bis dahin dem Klang der Glöckchen an meiner Narrenkappe lauschen. Auch wenn ich wie bereits erwähnt ebenfalls in das Erfurter Nordkap-Projekt investiert bin. Das Projekt soll dem Plan zufolge Ende September diesen Jahres fertig sein. Entweder bekomme ich mein Geld inkl. Zinsen zurück und alles ist gut – oder der dunkle Spaß geht weiter und ich habe Gelegenheit, eine Runde mit dem Chaos zu tanzen. Beides schön für mich. Sorgen mache ich mir jedenfalls keine und ein möglicher (Teil-)Ausfall bereitet mir hier keinen Angstschweiß auf der Stirn. Ich habe ja logischerweise breit gestreut und daher jeweils nur einen kleinen Teil meines Vermögens in den einzelnen Projekten stecken. Du ja natürlich auch...nicht wahr?

In anarchistisch angehauchter Vorfreude auf September,

Dein Finanzjoker

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